Debattenkompass Wert & Wirkung – heute: Fußball
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Liebe Leserinnen und Leser,  

die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland soll die nachhaltigste aller Zeiten sein. Allerdings wurde in der „ESG-Strategie“ des europäischen Fußballverbands UEFA nicht so richtig festgelegt, was der Veranstalter ganz konkret damit meint. Kennzahlen und Zielmarken werden oft nur umschrieben. Auch in einer gemeinsamen Erklärung von Deutschem Fußball-Bund (DFB), UEFA, Spielorten, Bund und Ländern wird vor allem viel guter Wille bekundet. Klar ist nur, dass 230000 Tonnen CO2 eingespart werden sollen.

Worum geht es eigentlich?

Das Thema Nachhaltigkeit hat also bei der Planung und Durchführung der EM eine größere Rolle gespielt. Grund dafür ist eine Erkenntnis, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt hat: Der Fußball kann die sozial-ökologische Transformation beispielhaft und glaubhaft als Innovator voranbringen. Er bildet eine Schnittstelle zwischen Gesellschaft (Fans), Wirtschaft (Vereine, Verbände, Sponsoren) und Politik. Vereine stehen für eigene Werte, die wiederum Fans teilen, Identifikation bedeuten. Profiklubs haben mittlerweile Leitbilder, wie der VfL Bochum oder 1. FSV Mainz 05. Sie sind so wie die Amateure lokal und regional – insbesondere auch über Netzwerke in die Wirtschaft hinein – fest verankert.

Das große Potential bestätigen auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen: Fußball könne eine „Breitenwirkung“ entfalten und „definitiv ein Treiber der Transformation sein“, sagen etwa die Fanforscherin Jenny Amann und der Sportökonom Markus Kurscheidt.

Deswegen erscheint das Engagement bei der EM sinnvoll und richtig. Das drittgrößte Sportereignis der Welt ist zunächst eine ideale Bühne fürs Thema. Also wurden Investitionen von 32 Millionen Euro für Nachhaltigkeit, Strategie und Maßnahmen vorab angekündigt. Mit Hilfe eines 7 Millionen Euro schweren Klimafonds sollen auch Projekte vieler Amateurvereine in Deutschland profitieren, der vorab errechnete CO2-Ausstoß von 490000 Tonnen um fast die Hälfte sinken. Neue Stadien wurden nicht gebaut – und somit bereits bei der Planung eine mögliche, große Emissionsquelle ausgeschlossen.

Bleibt das Turnier selbst: 84 Prozent der Emissionen fallen bei der Mobilität an, die meisten durch Reisen der Fans im Land, zu den Spielen und zu Public Viewings. Die wichtigsten Sparmaßnahmen dazu waren regionale „Cluster“. Viele Vorrundenspiele der Mannschaften fanden in Stadien statt, die nah beieinander lagen. Die Wege durch die Republik sollten während des Turniers kurzgehalten werden. Fans bekamen zudem vergünstigte Bahn- und Interrail-Tickets angeboten. Wie gut all das wirklich funktioniert hat, wird erst eine Auswertung Ende 2024 zeigen. Dennoch, es scheint so, als wurde viel getan und viel Geld ausgegeben.

Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher

Das Potential des Fußballs als Transformationstreiber ist – wie bereits erwähnt – groß. Bisher wird es noch nicht umfassend genutzt. Denn das Problem ist zudem oft die Glaubwürdigkeit – auch und gerade bei der EM. In welchem Verhältnis stehen die Bemühungen zu den Profiten, vor allem, wenn die UEFA von einem „Vermächtnis“ des Turniers bezogen auf Nachhaltigkeit spricht? Auch deswegen kam reichlich Kritik.

2 Milliarden Euro werden laut UEFA mit der EM umgesetzt, der Verband rechnet mit einem Gewinn von 1 Milliarde Euro. Das Turnier wird für Bund, Länder und Städte teuer. Die Kosten liegen bei 650 Millionen Euro laut einer Recherche von ZDF und Spiegel. Und die Forderungen des europäischen Verbands sind umfangreich: etwa Steuerbefreiungen und Demo-Verbote im Umfeld der Stadien. Allein die vorgeschriebenen Fan-Feste dürften letztlich mehr als eine viertel Milliarde Euro kosten.

Während die EM am Sonntagabend endet, geht es ab Juli und August für Profis und Amateure wieder los, heißt über 1,3 Millionen Partien pro Spielzeit. Der DFB ist der größte nationale Sportfachverband der Welt: 7,7 Millionen Mitglieder, die sich in rund 24000 Vereinen organisieren. Eigentlich ein großer Hebel, aber auch in der Nachhaltigkeitsstrategie des Verbandes aus dem Jahr 2022 bleibt es oft schwammig.  

Andere Zahlen sind wiederum bekannt: Allein in der Bundesliga werden pro Spieltag 7753 Tonnen CO2 freigesetzt. 2019 hat das Nachhaltigkeits-Projekt Life Tackle errechnet, dass pro Stadionbesuch und Fan bis zu 0,8 kg Müll anfallen können. Das wären auf alle europäischen Profi-Ligen bezogen 750000 Tonnen pro Jahr. Noch im Sommer 2022 kannten zwei Drittel der Vereine aus der ersten und zweiten Bundesliga nicht mal ihren Fußabdruck. 0,4 Prozent der globalen Emissionen gehen laut Schätzungen auf das Konto von Fanartikeln und Fußballbekleidung. Und der Weltfußballverband FIFA will die Weltmeisterschaft 2030 auf drei Kontinenten (Europa, Afrika und Südamerika) austragen. Wie wohl hier die Emissionsbilanz aussehen dürfte? Beim vielfach aus sozialen und ökologischen Gründen kritisierten Turnier 2022 in Katar waren es 3,6 Millionen Tonnen.

Viele EM-Fans waren mit Leihrädern unterwegs. Foto: IMAGO / Shutterstock

Wer tut schon was?

Zurück zur EM: Dass auch einzelne Teams sich der eigenen Vorbildrolle bewusst sind, zeigten Polens Nationalspieler – ganz ohne Ball. Sie reisten mit Rad und Bahn. Das Video- und Bildmaterial dazu sorgte für ein großes und positives Social-Media-Echo.

Und auch auf Vereinsebene gibt es Vorreiter wie die Forest Green Rovers aus Nailsworth, England. Der Klub wurde als erster weltweit von der UN als klimaneutral und vegan zertifiziert. Der Bau eines „grünen“ Stadions, überwiegend aus Holz, ist zudem geplant. Die Fans der Rovers finden sich mittlerweile weltweit, auch in Deutschland.

Hierzulande organisiert die Deutsche Fußball Liga (DFL) den Spielbetrieb der ersten und zweiten Bundesliga und vergibt Lizenzen an die Klubs, die zur Teilnahme berechtigen. Seit 2023 berücksichtigt die DFL dabei auch ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeitskriterien auf Basis einer eigenen Richtlinie. Es geht um die Verankerung der Themen in Satzungen und Geschäftsordnungen, um zahlreiche Maßnahmen, Strategien und Berichtspflichten. Die eigenen Emissionen sollen ermittelt, Abfall vermieden oder Wasser gespart werden. Es gilt Strukturen aufzubauen und Fach-Personal einzustellen. Mitarbeiterschulungen spielen ebenso eine Rolle wie IT-Sicherheit oder der Einsatz von aktuellen und ehemaligen Spielern als Kommunikatoren fürs Thema Nachhaltigkeit. Fein.

Letztlich wird aber die Frage entscheidend sein, ob Maßnahmen weiter ambitioniert präzisiert und Verstöße sanktioniert werden – etwa mit Geldstrafen oder Punktabzügen. Und für viele finanzschwächere Klubs ist, obwohl änderungswillig, der Umsetzungskatalog eine Herausforderung. Dennoch ziehen viele Bundesligisten bereits mit: Beim VfL Wolfsburg werden laut eigener Angabe 11 Millionen Liter Trinkwasser eingespart, der FC St. Pauli hat Ende 2023 erstmals eine Gemeinwohlbilanz veröffentlicht und der SC Freiburg wurde für sein Fahrradkonzept rund ums Stadion bereits ausgezeichnet.

Wie ist der nächstmögliche Schritt?

Das strukturelle Engagement der DFL ist ein guter Anfang. Netzwerkinitiativen mit mittelständischen Sponsoren auf den Tribünen, die sich ebenfalls als Unternehmen transformieren müssen, wären eine gute Idee in puncto konkretem Praxis-Austausch. Auch ein Klimasolidaritätsfonds, in den finanzstärkere Klubs einzahlen, um finanzschwächeren schneller beim nachhaltigen Umbau zu helfen, würde Sinn machen. Fußball made in Germany könnte so über den Sport hinaus Vorbildcharakter bekommen, zumal rund europäische 150 Klubs, allein aufgrund ihrer Unternehmensgröße, unter den Geltungsbereich der EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fallen.  

Was prominente Spielerinnen und Spieler als Klimaschutzbotschafterinnen und -Botschafter – dank großer Social-Media-Reichweiten – bewirken könnten, erklärt die Superredaktion, unsere Kooperationspartnerin, im aktuellen Newsletter.

Wichtig wäre auch, dass der DFB smarte Tools weiterentwickelt, die beim Ermitteln der eigenen Klimabilanz der Amateurvereine helfen und bundesweite Fördermöglichkeiten aufzeigen. Und der in Frankfurt heimische Verband und seine regionalen Ableger könnten ernsthaft prüfen – gerade mit Blick auf Mobilität als Treiber für Emissionen an jedem Wochenende – die Ligen und Spielpläne im Amateursport langsam neu zu organisieren. Oberste Prämisse – wie bei EM-Clustern: kurze Wege für alle. Modelle, die noch nicht perfekt sind und von denen aus man weiterdenken könnte, gäbe es. Gekoppelt an mehr Fahrgemeinschaften wäre hier großer Impact möglich.

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