Worum geht es eigentlich?
Das Thema Nachhaltigkeit hat also bei der Planung und Durchführung der EM eine größere Rolle gespielt. Grund dafür ist eine Erkenntnis, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt hat: Der Fußball kann die sozial-ökologische Transformation beispielhaft und glaubhaft als Innovator voranbringen. Er bildet eine Schnittstelle zwischen Gesellschaft (Fans), Wirtschaft (Vereine, Verbände, Sponsoren) und Politik. Vereine stehen für eigene Werte, die wiederum Fans teilen, Identifikation bedeuten. Profiklubs haben mittlerweile Leitbilder, wie der VfL Bochum oder 1. FSV Mainz 05. Sie sind so wie die Amateure lokal und regional – insbesondere auch über Netzwerke in die Wirtschaft hinein – fest verankert.
Das große Potential bestätigen auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen: Fußball könne eine „Breitenwirkung“ entfalten und „definitiv ein Treiber der Transformation sein“, sagen etwa die Fanforscherin Jenny Amann und der Sportökonom Markus Kurscheidt.
Deswegen erscheint das Engagement bei der EM sinnvoll und richtig. Das drittgrößte Sportereignis der Welt ist zunächst eine ideale Bühne fürs Thema. Also wurden Investitionen von 32 Millionen Euro für Nachhaltigkeit, Strategie und Maßnahmen vorab angekündigt. Mit Hilfe eines 7 Millionen Euro schweren Klimafonds sollen auch Projekte vieler Amateurvereine in Deutschland profitieren, der vorab errechnete CO2-Ausstoß von 490000 Tonnen um fast die Hälfte sinken. Neue Stadien wurden nicht gebaut – und somit bereits bei der Planung eine mögliche, große Emissionsquelle ausgeschlossen.
Bleibt das Turnier selbst: 84 Prozent der Emissionen fallen bei der Mobilität an, die meisten durch Reisen der Fans im Land, zu den Spielen und zu Public Viewings. Die wichtigsten Sparmaßnahmen dazu waren regionale „Cluster“. Viele Vorrundenspiele der Mannschaften fanden in Stadien statt, die nah beieinander lagen. Die Wege durch die Republik sollten während des Turniers kurzgehalten werden. Fans bekamen zudem vergünstigte Bahn- und Interrail-Tickets angeboten. Wie gut all das wirklich funktioniert hat, wird erst eine Auswertung Ende 2024 zeigen. Dennoch, es scheint so, als wurde viel getan und viel Geld ausgegeben.
Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher
Das Potential des Fußballs als Transformationstreiber ist – wie bereits erwähnt – groß. Bisher wird es noch nicht umfassend genutzt. Denn das Problem ist zudem oft die Glaubwürdigkeit – auch und gerade bei der EM. In welchem Verhältnis stehen die Bemühungen zu den Profiten, vor allem, wenn die UEFA von einem „Vermächtnis“ des Turniers bezogen auf Nachhaltigkeit spricht? Auch deswegen kam reichlich Kritik.
2 Milliarden Euro werden laut UEFA mit der EM umgesetzt, der Verband rechnet mit einem Gewinn von 1 Milliarde Euro. Das Turnier wird für Bund, Länder und Städte teuer. Die Kosten liegen bei 650 Millionen Euro laut einer Recherche von ZDF und Spiegel. Und die Forderungen des europäischen Verbands sind umfangreich: etwa Steuerbefreiungen und Demo-Verbote im Umfeld der Stadien. Allein die vorgeschriebenen Fan-Feste dürften letztlich mehr als eine viertel Milliarde Euro kosten.
Während die EM am Sonntagabend endet, geht es ab Juli und August für Profis und Amateure wieder los, heißt über 1,3 Millionen Partien pro Spielzeit. Der DFB ist der größte nationale Sportfachverband der Welt: 7,7 Millionen Mitglieder, die sich in rund 24000 Vereinen organisieren. Eigentlich ein großer Hebel, aber auch in der Nachhaltigkeitsstrategie des Verbandes aus dem Jahr 2022 bleibt es oft schwammig.
Andere Zahlen sind wiederum bekannt: Allein in der Bundesliga werden pro Spieltag 7753 Tonnen CO2 freigesetzt. 2019 hat das Nachhaltigkeits-Projekt Life Tackle errechnet, dass pro Stadionbesuch und Fan bis zu 0,8 kg Müll anfallen können. Das wären auf alle europäischen Profi-Ligen bezogen 750000 Tonnen pro Jahr. Noch im Sommer 2022 kannten zwei Drittel der Vereine aus der ersten und zweiten Bundesliga nicht mal ihren Fußabdruck. 0,4 Prozent der globalen Emissionen gehen laut Schätzungen auf das Konto von Fanartikeln und Fußballbekleidung. Und der Weltfußballverband FIFA will die Weltmeisterschaft 2030 auf drei Kontinenten (Europa, Afrika und Südamerika) austragen. Wie wohl hier die Emissionsbilanz aussehen dürfte? Beim vielfach aus sozialen und ökologischen Gründen kritisierten Turnier 2022 in Katar waren es 3,6 Millionen Tonnen. |