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Liebe Leserinnen und Leser,  


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r erneuerbare Energien, bessere Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, intakte Ökosysteme: Mit dem European Green Deal kam ab 2019 Aufbruchsstimmung in der EU auf.  

Der Vizepräsident der EU-Kommission sowie Kommissar für Klimaschutz und den Green Deal, Frans Timmermanns, sprach damals von einer industriellen Revolution. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte den Green Deal gar „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ – einen „Fahrplan zum Handeln“, um Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen und dadurch Jobs und ein Wohlstandsmodell zu schaffen, „das mehr zurückgibt, als es wegnimmt“. 
 

Worum geht es eigentlich?

Mit ihrer ambitionierten Agenda machte von der Leyen über die Grenzen Europas hinaus von sich reden. Der Green Deal war damit nicht weniger als der Versuch, die Transformation Europas voranzutreiben – mit einer übergeordneten Vision, die konsequent alle Politikbereiche auf ihre Lenkungswirkung hin zu einer erneuerbaren, CO2-neutralen und zirkulären Wirtschaft ausrichtet. 

Dieses ganzheitliche Denken ist essenziell, wie die Ergebnisse eines neuen Reports des WWF verdeutlichen: Noch immer finanzieren die Mitgliedsstaaten aus dem EU-Haushalt mit Subventionen in Höhe von 34 bis 48 Milliarden Euro jährlich umweltschädliche Aktivitäten in verschiedenen Wirtschaftsbereichen – größtenteils in der Landwirtschaft. Aber auch im Bereich Verkehr und Wasserinfrastruktur landen Gelder, mit denen etwa Änderungen an Flussläufen finanziert werden, die der biologischen Vielfalt schaden. Gleichzeitig fehlen jährlich 18 Milliarden Euro für die Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030, die für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zentral ist. Hier wirken Politikmaßnahmen aus verschiedenen Bereichen also absolut gegeneinander.  

Wirklich effektiv wird Politik aber erst dann, wenn die politischen Maßnahmen aufeinander abgestimmt sind – so wie im Green Deal verankert. Hierbei spricht man von politischer Kohärenz.
 


Doch „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ droht
zu scheitern, noch bevor die Raumkapsel die Atmosphäre überhaupt verlassen hat. Statt Aufbruchsstimmung gibt es heftigen Gegenwind. Regierungen scheuen sich, richtungsweisende Maßnahmen zu verabschieden (wir erinnern an das Nature Restoration Law, das im Rat der EU auf Eis gelegt wurde, oder an das EU-Lieferkettengesetz, das nur in stark abgeschwächter Form beschlossen wurde), lockerten unter dem Druck der Bauern-Proteste etwa Auflagen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).

Der zu erwartende Rechtsruck bei der EU-Wahl am 9. Juni dürfte den Gegenwind noch verschärfen. Prognosen zufolge könnten die rechtskonservative Fraktion „Europäische Konservative und Reformer (EKR) sowie die Rechtsextremen und Rechtspopulisten von „Identität und Demokratie“ (ID), die dem Green Deal ablehnend gegenüberstehen, bald rund ein Viertel aller Abgeordneten im EU-Parlament stellen. Das Problem: Der Green Deal ist ein langfristiges Projekt, seine Wirkung kommt in Gänze erst in Zukunft zum Tragen. Mit einem Erstarken konservativer und rechtsextremer Parteien steht der Green Deal auf der Kippe.

Damit wird die EU-Wahl zur Richtungswahl: sozial-ökologische Transformation als europäische Vision – ja oder nein?


Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher?

Weiterhin wichtige, bereits verhandelte Gesetzespakete und Initiativen des Green Deals zu pausieren oder zurückzudrehen, würde die ökologische Krise weiter anfachen und soziale Ungerechtigkeiten verschärfen.  

Denn: Europa ist der sich am stärksten erhitzende Kontinent – und damit schwerwiegenden Folgen ausgesetzt, wie der kürzlich erschienene EUCRA-Report zeigt: Neben Waldbränden und Hitzeperioden wirkt sich die Erderhitzung unter anderem auch auf die Ernährungssicherheit, unsere Gesundheit und Infrastruktur aus.  

Der Green Deal nimmt diese Folgen ganzheitlich und über alle Politikfelder hinweg konsequent in den Blick.

Was dabei zu Unrecht häufig unter den Tisch fällt: Auch wenn die Investitionen für die Transformation kurzfristig betrachtet teuer erscheinen, sind sie um ein Vielfaches günstiger als Nichthandeln. Allein auf Deutschland könnten in den kommenden Jahrzehnten aufgrund von Extremwetterereignissen wie beispielsweise Hochwassern Kosten in Höhe von 280 bis 900 Milliarden Euro zukommen, wie aus einer Studie hervorgeht, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragt hat. 

Die kurzfristige Orientierung, mit der derzeit etwa einzelne Elemente des Green Deals  zurückgehalten werden, lässt sich auch dadurch erklären, dass die Erfolge einer reformwilligen und transformativen Politik oft erst dann sichtbar werden, wenn die handelnden Akteure bereits wieder abgewählt sind. Diese zu beobachtende strukturelle Kurzsichtigkeit“ nennt man auch Shorttermism.

In einem kürzlich veröffentlichten offenen Brief weisen tausende Wissenschaftler aus ganz Europa noch einmal darauf hin, dass die drohende Verwässerung des Green Deals nicht nur die Natur gefährdet, sondern auch eine unmittelbare Gefahr für die Zukunft der EU-Bürgerinnen und -Bürger darstellt.

Wer tut schon was?

Das Projekt der 100 Net Zero Cities, das im Rahmen des Green Deals ins Leben gerufen und finanziell gefördert wird, soll zeigen, wie eine gelungene Transformation aussehen kann. So sollen ausgewählte Städte unterstützt werden, um bis 2030 klimaneutral zu werden und anderen Städten als Vorbild zu dienen. Neben Vorzeigestädten wie Amsterdam und Kopenhagen befinden sich auch Städte wie Heidelberg, Aachen und Dortmund in Deutschland, oder Krakau in Polen und Turku in Finnland unter den ausgewählten Städten.  

Im Rahmen des Projektes bekommen die Städte finanzielle Unterstützung und Expertise bereitgestellt, um Emissionen einzusparen, Finanzströme zu verändern, den Wandel mit bürgerschaftlichem Engagement und demokratischer Regierungsführung zu verbinden und damit auch soziale Innovationen voranzutreiben.  


Turku ist eine von über 100 Städten, die bis 2030 klimaneutral werden sollen. Foto: Reijo Telaranta / Pixabay

Die finnische Stadt Turku etwa ist auf Kurs, die Klimaneutralität bereits im Jahr 2029 zu erreichen, schon jetzt hat sie 63 Prozent der Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 eingespart. Von 2029 an will sie klimapositiv sein – also mehr CO2 absorbieren, als sie verursacht. 

Der Green Deal, zu diesem Zwischenfazit kommt das wissenschaftliche Projekt Climate Action Tracker, hat die EU bereits auf einen Klimaschutzpfad von knapp über 2 Grad gebracht – eine Verbesserung der vorherigen Prognose um mehr als ein Grad. Auch das Reduktionsziel von 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 ist mittlerweile in Reichweite. Somit hat Europa seinen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz deutlich gesteigert. 

 

Wie ist der nächstmögliche Schritt?

Das Ergebnis des Climate Action Trackers verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig die Rolle der EU bei der sozial-ökologischen und wirtschaftlichen Transformation ist. In der nächsten Legislaturperiode stehen wichtige Richtungsentscheidungen an. Zum Beispiel die Umsetzung des bereits beschlossenen CO2-Preises für Verkehr und Wärme. Auf Kurs zu bleiben angesichts des klaren Kompasses, den der Green Deal vorgegeben hat, ist also bereits Herausforderung genug. 
 
Auch die im WWF-Report thematisierten EU-Subventionen, die noch immer naturschädigende Wirtschaftsbereiche finanziell stützen, müssen reformiert werden. Denn durch die finanziellen Hilfen aus dem EU-Haushalt werden kontraproduktive Anreize gesetzt, während gleichzeitig die Mittel für die sozial-ökologische Transformation fehlen.  

Ob und inwieweit „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ erfolgreich sein wird, hat ganz wesentlich mit dem Wahlergebnis bei der EU-Wahl am 9. Juni zu tun. Entsprechend wichtig ist es, von diesem demokratischen Privileg Gebrauch zu machen, wählen zu gehen und auch sein Umfeld zu aktivieren.

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