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Liebe Leserinnen und Leser,  

Fahrverbote. Aktuelles Buzzword. Immer noch. Das Thema beschäftigt die Republik seit Wochen. Dabei war eine Umsetzung wohl nie ernsthaft geplant. Als sich am 17. und 18. April in Münster die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der Länder trafen, sprachen sie stattdessen über einen Infrastrukturfonds. Den hatte das Bundesministerium kürzlich vorgeschlagen, weil Investitionen von mindestens 40 Milliarden Euro überall im Land notwendig sind – bis 2031. Viel wichtiger als die Frage nach der Summe ist doch aber: Welche Strukturen passen am besten ins 21. Jahrhundert? 

Worum geht es eigentlich?

Infrastrukturen prägen unser Leben. Nicht nur, aber besonders in Städten, denn dort leben 77 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, müssen Straßen, Schienen, Wege verbessert und erneuert werden. Wenn’s hier ruckelt, merken wir das schnell – und wir leiden darunter. Läuft’s gut, geht’s uns gut.  

Was gelegentlich in der Debatte untergeht: Mobilität ist kein Selbstzweck. Wir wollen etwas erreichen. Das gilt für den Arbeitsweg, den Besuch bei Freunden, die Tour zum Supermarkt ebenso wie den Trip zum Sport oder die Fahrt in den Erholungsurlaub. Die Frage ist: Wie viel und welche Art von Verkehr entsteht, um diese Bedürfnisse zu befriedigen? Wie können wir Orte erreichbarer und unseren Alltag einfacher machen, dabei Emissionen einsparen, Lungen und Gehör, Begegnungsräume und Natur schützen – und so unsere Lebensqualität verbessern?  

Zielbilder dafür haben wir, etwa das SDG 11 für nachhaltige Städte der UN. Bis 2030 sollen möglichst alle Menschen Zugang zu bezahlbaren, sicheren, barrierefreien und klimaschonenden Verkehrssystemen, insbesondere Öffis, haben. Zudem gibt es die Leipziger Charta 2020. Sie ist das offizielle Leitdokument für Stadtentwicklung in Europa und stellt das Gemeinwohl in den Mittelpunkt. Heißt generell: eine „Stadt der kurzen Wege” mit weniger Verkehr und möglichst allem, was wir im Alltag brauchen, in bequemer Reichweite.

Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher?

Autos in Deutschland stehen durchschnittlich 97 Prozent der Zeit am Tag rum und verbrauchen viel Platz. Rund 40 Prozent der Pkw werden an einem durchschnittlichen Tag gar nicht bewegt. Das Festhalten an diesem Verkehrssystem ist eine teure Sache, auch für alle ohne Auto: Platz ist gerade in Städten ein kostbares Gut – und die Kilometer, die dann doch gefahren werden, kosten uns alle laut einer Studie der Universität Lund in Schweden rund 27 Cent. Der getankte Liter Benzin ist dabei nicht eingerechnet, sondern Kosten, die der Allgemeinheit entstehen. Berücksichtigt werden etwa Straßenbau, Unfallschäden, Lärm und Luftverschmutzung. Im Vergleich dazu ist jeder Kilometer auf dem Rad nicht nur gesünder, sondern spart der Gesellschaft 30 Cent.

Der Status quo verursacht enorme Ausgaben. Laut einer Analyse des Forschungsprojektes Ariadne aus dem Jahr 2021 belaufen sich die gesellschaftlichen Kosten, die durch umweltschädigende Aktivitäten entstehen, aber in unseren Bilanzen in der Regel nicht auftauchen, auf 455 bis 671 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland. Der Verkehr und der Klimawandel gehören zu den größten Kostentreibern in der Liste dieser Aktivitäten. Zahlen muss dafür die Allgemeinheit. Hinzu kommen von der EU verbindlich festgelegte Sektor-Ziele für das Einsparen von Emissionen. Werden die gerissen, sind Strafen in Milliardenhöhe fällig. Würden Designer und Ingenieurinnen wirklich auf weitere Straßen und Pkws kommen, wenn sie mit diesen Infos ein Mobilitätssystem neu entwickeln könnten? 

Wer tut schon was?

Einige Städte arbeiten bereits an einem räumlichen Mobilitätsdesign, Hamburg zum Beispiel. Die Verkehrsentwicklungsplanung wurde umfassend neu ausgerichtet. Die zuständige Behörde, seit 2020 auch als eigenes Ressort organisiert, trägt die „Mobilitätswende“  mittlerweile im Namen. Einzelne Aspekte wirken simpel, in der Summe wird daraus dann aber ein modulares Mobilitätssystem: weniger Autoverkehr in der City, Radwege gezielt ausbauen, die Öffis modernisieren und den Effekt des 49-Euro-Ticket nutzen, möglichst viele digital abrufbare Optionen für eine Fortbewegung ohne Pkw anbieten. Tickets für den Nahverkehr, Mieträder und -Roller, Car- und Ridesharing können alle über eine App gebucht werden.  

Der Stadtstaat plant, die Emissionen bis 2030 um 50 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das funktioniert bereits sehr gut, die 5,5 Millionen Menschen, die sich in der City und der Umgebung bewegen, nehmen die Angebote an. Allein zwischen 2019 und 2020 stieg die Zahl der Radfahrerinnen und Radfahrer um 33 Prozent. Ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger macht längst einen Großteil der täglichen Wege zu Fuß. Es gibt ähnliche, erfolgreiche Konzepte. Im belgischen Gent ist die Innenstadt, auch durch ein cleveres Parkkonzept drumherum sowie systematisch ausgebaute Rad- und Fußwege, autofrei.

Amsterdam hat 2019 neue Nutzungskonzepte für 1100 Parkplätze entwickelt, von denen in Summe alle profitieren: Spiel- und Grünflächen, Uferbefestigungen, aber auch Raum für neue Wohnungsbauprojekte und Fahrradstellplätze sind entstanden. Urbane Räume, die zuvor von und für Autos geblockt waren, werden wieder als gemeinsame, lebendige Orte – für Kreativität und Innovation – zurückzugewonnen. Orte, die identitätsstiftend werden können, die das Gefühl eines Zuhauses schaffen. Bereits 1972 wurde in den USA nachgewiesen, dass Straßengebiete mit weniger Verkehr mehr soziale Interaktion mit sich bringen. Eine ähnliche Studie für Paris 2020 liefert vergleichbare Ergebnisse.  

Wie ist der nächstmögliche Schritt?

Infrastrukturen prägen unser Leben. Und dabei spielt, das ist historisch und wirtschaftlich nachvollziehbar, gerade in Deutschland das Auto eine große Rolle. Das ist immer noch der Status quo. Zum zukunftssicheren Mobilitätsdesign gehört daher auch der Blick aufs Verkehrsrecht, in dem vieles noch aus den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts stammt. Prämisse damals wie heute: Mit dem Pkw muss es immer schnell vorwärts gehen. Das schränkt gerade die standortgerechte Planung für mehr Klimaschutz und eine Beruhigung des Verkehrs massiv ein. Kommunen können etwa nicht selbst über Tempo-30-Zonen entscheiden. Einer Kampagne mit dem Ziel entsprechender Gesetzesänderungen schlossen sich 2023 insgesamt 1068 Kommunen und Landkreise an. Im Bundesrat gab es für eine Reform des Verkehrsrechts bislang keine Mehrheit, hier wäre ein Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern ein wichtiger Schritt. 

Und die Lenkungswirkung einer zeitgemäßen Gesetzgebung wäre auch für das Thema Emissionen wichtig. Funktionieren sollte das aber nicht über Fahrverbote, sondern über kluge Anreize wie eine Reform der Kfz-Steuer im Sinne schadstoffarmer Fahrzeuge, einer Reform der Dienstwagensteuer, dem noch besser festgeschriebenen Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge, Ausbau der Schiene sowie der höheren Bepreisung von Parkraum. Zudem lohnt es sich nochmal über Tempolimits zu sprechen: So lassen sich kurzfristig rund 6 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen – und damit laut Umweltbundesamt (siehe Grafik) 38 Millionen Tonnen im Zeitraum 2024 bis 2030. Das sind 20 Prozent der Klimaschutzlücke von 187 Millionen Tonnen im Verkehrssektor in diesem Zeitraum.

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