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Mangelnde Dämmung, hohe Kosten So schlecht steht es um die Gebäudesanierung in Deutschland

Neue Fenster, gedämmte Wände und Dächer: Energetische Sanierungen sind wichtig für den Klimaschutz. Doch laut einer neuen Studie kommt Deutschland hier kaum voran. Die Ziele der Bundesregierung rücken in weite Ferne.
Sanierung der Gebäudehülle: Oft hat die neue Heizung Vorrang

Sanierung der Gebäudehülle: Oft hat die neue Heizung Vorrang

Foto: Andreas Arnold / dpa

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2023 war ein verlorenes Jahr für die energetische Sanierung von Häusern in Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung des Marktforschungsunternehmens B+L Marktdaten aus Bonn im Auftrag des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle (Buveg).

Nach den Berechnungen wurden 2023 schätzungsweise nur 0,7 Prozent der Wohnhäuser in Deutschland an der Fassade, dem Dach oder den Fenstern auf Vordermann gebracht. Die Quote liegt nicht nur unter dem Vorjahreswert von 0,88 Prozent, sie bleibt auch deutlich hinter politischen Zielen zurück.

So hielt ein Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums 2022 fest, dass jährlich 1,7 bis 1,9 Prozent aller Wohngebäude energetisch saniert werden müssten, damit der Immobilienbestand in Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bezifferte die nötige Sanierungsquote auf etwa zwei Prozent. Eine Quote von zwei Prozent bedeutet, dass es rechnerisch 50 Jahre dauern würde, bis alle Häuser der Republik einmal gründlich erneuert wären.

»Die Lücke zwischen Ist und Soll bei energetischen Sanierungen wird immer größer.«

Andreas Holm, Forschungsinstitut für Wärmeschutz München

Was das in absoluten Zahlen bedeutet, rechnet das Forschungsinstitut für Wärmeschutz (FIW) München vor. Demnach wurden 2023 etwa 270.000 Wohneinheiten – also Wohnungen und Einfamilienhäuser – an der Gebäudehülle saniert. Um die Ziele zu erreichen, müssten 2025 aber etwa 460.000 Wohneinheiten saniert werden, 2030 gar 730.000, so das FIW.

»Die Lücke zwischen Ist und Soll bei energetischen Sanierungen wird immer größer«, sagt Institutsleiter Andreas Holm. »Wir laufen damit Gefahr, die anvisierten Klima- und Effizienzziele nicht mehr erreichen zu können.« Holm hat an dem Gutachten von 2022 mitgewirkt.

Für die Bundesregierung ist die Studie nicht das erste Warnsignal. Im Gebäudesektor in Deutschland wurden in den vergangenen vier Jahren jeweils mehr Treibhausgase ausgestoßen, als es die Zielpfade im Klimaschutzgesetz vorsehen. Viele ältere Häuser erfüllen nur die Standards der niedrigsten Energieeffizienzklassen G und H. Beim Verkauf waren energieeffizientere Immobilien zuletzt deutlich stabiler im Wert als unsanierte Objekte.

Die CO₂-Bilanz der Gebäude kann vor allem über zwei Wege besser werden: indem klimaschädliche Öl- und Gasheizungen ersetzt werden, zum Beispiel durch strombetriebene Wärmepumpen – und indem die Häuser energieeffizienter werden. Der Staat fördert beide Wege, doch ist der zweite merklich ins Stocken geraten.

Für die Auswertung hat B+L ermittelt, wie sich die Märkte für verschiedene Materialien im vergangenen Jahr entwickelt haben. Dabei ging es zum Beispiel um den Absatz von Dachziegeln und Schindeln, Fassaden und Fenster – jeweils für die Sanierung bestehender Ein- und Mehrfamilienhäuser, nicht für den Neubau. Dafür haben die Autoren beispielsweise Dachdecker, Fensterbauer und Malerbetriebe befragt, aber auch Architekten, Händler und Fachleute aus der Industrie; zudem zog B+L öffentliche Statistiken heran.

Besonders stark ist demnach die Renovierung von Fassaden eingebrochen. In dem Segment habe die Sanierungsquote nur noch 0,54 Prozent betragen. Das bedeutet, dass 0,54 Prozent aller Außenwände von Wohngebäuden in Deutschland voriges Jahr saniert wurden – gemessen an der Zahl der Quadratmeter.

Bei Dächern kommt B+L analog auf einen Anteil von 0,72 Prozent, bei Fenstern auf 1,23 Prozent. Damit war der Fenstertausch voriges Jahr noch die beliebteste Sanierungsmaßnahme hierzulande. Er ist einfacher umsetzbar als eine Fassaden- oder Dachsanierung.

Fokus auf Wärmepumpen statt auf Dämmung

Die Autoren führen die Zurückhaltung der Immobilienbesitzer auf »die vielfältigen Krisen« zurück, »insbesondere ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine«. So seien nicht nur Materialpreise und Energiekosten gestiegen, sondern auch die Zinsen für die Finanzierung von Immobilienkäufen und Renovierungen.

Dies sei in der Vergangenheit anders gewesen, heißt es in der Studie: Da sei mit den Energiepreisen auch die Nachfrage nach energetischen Sanierungen gestiegen. »Diesmal jedoch führen die hohen Inflationsraten zu einem Nachfragerückgang«, so B+L: Teils müssten Haushalte sparen, teils gäben sie ihr Geld lieber für eine neue Heizung oder Solaranlage aus.

In der Auswertung heißt es auch, dass sich die staatliche Förderung zumindest in der Wahrnehmung der Menschen auf die Gebäudetechnik fokussiere, also beispielsweise auf Wärmepumpen oder Solaranlagen; die Dämmung sei indes »aus dem Fokus der Hausbesitzer gerückt«.

Für das laufende Jahr prognostizieren die Autoren, dass die Sanierungsquote bei 0,69 Prozent in etwa stagnieren werde. Dahinter steckt die Annahme, dass in diesem Jahr weniger neue Wohnhäuser gebaut werden. Dies führe dazu, dass weniger Menschen umzögen – und damit auch weniger renoviert werde, »da größere Investitionen in energetische Sanierungen häufig beim Umzug getätigt werden«, so B+L. Auch Vermieter kleinerer Objekte renovieren oft, wenn ein Mieter ausgezogen ist.

Allerdings erwarten die Fachleute, dass der Immobilienmarkt im Laufe des Jahres angesichts steigender Mieten und sinkender Bauzinsen wieder anziehen könnte . Womöglich werde dann auch wieder mehr renoviert.

Nach Ansicht von Buveg-Geschäftsführer Jan Peter Hinrichs hat die Bundesregierung den Fokus zuletzt »zu stark auf den Heizungstausch gelegt und die energetische Sanierung des Gebäudebestands nahezu aus den Augen verloren«. Deutschland brauche »dringend eine neue Sanierungsoffensive«, so Hinrichs.

»Der Staat muss sich klar und deutlich zur Bedeutung der energetischen Sanierung bekennen«, fordert der Verbandsfunktionär. Immobilienbesitzer bräuchten mehr Informationen und langfristig stetige Förderbedingungen. Der Buveg hat ein großes Eigeninteresse daran, vertritt er doch die Hersteller von Fenstern und Türen, Bau- und Dämmstoffen. Die Branche leidet unter der schwachen Baukonjunktur.

In Berlin hat man den Ernst der Lage offenbar erkannt. So hat das Bundeswirtschaftsministerium zu einer Dialogreihe »Gebäude-Sanierungs-Kompass« geladen, die an diesem Dienstag beginnen soll. In der Veranstaltung soll es um eine »Beschleunigungsoffensive Klimaneutrale Gebäude« gehen. FIW-Professor Andreas Holm zählt zu den Rednern.