Knapp elf Jahre ist es her, dass die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch in sich zusammenstürzte und über 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter in den Tod riss. Sie hatten Kleidung für große Bekleidungsketten produziert, unter anderem für das deutsche Unternehmen KiK – Firmen, die offensichtlich wenig Zeit und Geld in die Kontrolle ihrer Zulieferer gesteckt hatten. Politikerinnen und Politiker, NGOs und Verbraucherinnen und Verbraucher in ganz Europa forderten daraufhin Gesetze, die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen würden.

So eine EU-weite Richtlinie gibt es nun, nach mehreren Jahren ist sie fertig verhandelt, eigentlich muss sie nur noch formal im EU-Rat und im Parlament beschlossen werden. Doch auf den letzten Metern stellt sich die deutsche FDP quer. Möglich, dass nun weitere Staaten ihre Meinung ändern. Dann wäre ein EU-Lieferkettengesetz kurz vor der Ziellinie tot.

In ihrer Ablehnung sieht sich die FDP als Sprachrohr der Unternehmen. "Eine sehr große Bürokratie entsteht, die ganze Wirtschaft warnt davor", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner auf dem FDP-Europaparteitag Ende Januar. Doch so einhellig, wie Lindner es darstellt, lehnt die Wirtschaft das Gesetz gar nicht ab.

Fragt man heute bei KiK nach, das nach Rana Plaza und weiteren Skandalen jahrelang am Pranger stand, sagt das Unternehmen: Gute Idee! KiK, der Billigklamotten-Produzent, befürwortet ein EU-weites Lieferkettengesetz, mit dem das Unternehmen noch stärker auf die Menschenrechte und auf Umweltstandards in seinen Lieferketten achten müsste. "KiK bleibt bei seiner klaren Position", sagt der Nachhaltigkeitschef Ansgar Lohmann. "Wir unterstützen das Gesetz, weil es den Menschen vor Ort helfen kann." Nicht alles an der EU-Richtlinie sei perfekt, es gebe etwa einen hohen Aufwand durch Berichtspflichten. Aber man wolle Wettbewerbsgleichheit und Rechtssicherheit.

Deutschland macht sich in Brüssel unbeliebt

KiK ist mit dieser Forderung nicht allein. Deutsche und internationale Firmen sprechen sich für eine Regulierung auf EU-Ebene aus. Es sind globale Player dabei, die Reedereien Maersk und Hapag-Lloyd etwa, Ikea, Unilever oder Aldi Süd. Zudem Verbände, in denen sich BMW, Amazon, Nestlé oder Adidas organisieren. Und auch deutsche Mittelständler und Familienunternehmen.

Trotzdem stellte sich Finanzminister Lindner nur wenige Tage nach dem Europaparteitag in einem gemeinsamen Schreiben mit Justizminister Buschmann offen gegen das Gesetz. Dabei ist die FDP sich nicht zu schade, ihre eigene Verhandlungsposition über Bord zu werfen. Denn viele der Stellen im Gesetz, die Buschmann und Lindner jetzt kritisieren, hat die FDP in den Verhandlungen auf EU-Ebene monatelang unterstützt. Das geht aus internen Dokumenten aus dem Sommer und Herbst 2023 hervor, die ZEIT ONLINE vorliegen und über die Correctiv zuerst berichtete. In Brüssel und Berlin werten Beobachter das als "grobes Foul". Weil die FDP ihr Wort gebrochen hat, steht die Bundesregierung in Brüssel als unglaubwürdig da.

Lindner und Buschmann nutzen in ihrem Brief die Argumente der großen Wirtschaftsverbände in Deutschland. Seit Wochen schreiben sie gemeinsame Briefe, geben Interviews, treten in sozialen Medien auf: zu viel Bürokratie, zu große Risiken, etwa weil Unternehmen in bestimmten Fällen auf Schadenersatz verklagt werden können.

Dagegen stehen Äußerungen, offene Briefe und Stellungnahmen von Unternehmen und Verbänden, die ZEIT ONLINE ausgewertet hat. Summiert man einzelne Unternehmen und die Mitglieder von Verbänden, die sich positiv zum Gesetz geäußert haben, könnten mehr als 4.000 deutsche und internationale Unternehmen aller Größen ein starkes EU-Lieferkettengesetz befürworten – wie das, das aktuell verabschiedet werden soll. Eine Zahl, die sich nicht eins zu eins gegen die kritischen Stimmen aufwiegen lässt – schließlich sind nicht alle Unternehmen in Verbänden organisiert. Und doch sendet sie ein anderes Signal als die vereinzelten Stimmen, die sich bisher für ein EU-Lieferkettengesetz aussprachen.